Wutreden sind etwas Schönes. Sie sind hochemotional, aufrichtig und erkenntnisreich. Wer erinnert sich nicht an den spontanen Wutausbruch von Rudi Völler nach einem verkorksten EM-Qualifikationsspiel auf Island oder die legendäre Pressekonferenz vom damaligen Bayern-Coach Giovanni Trappatoni?
Bisher blieb das Phänomen der medialen Wutrede nahezu exklusiv der Sphäre des Profi-Fußballs vorbehalten – nun aber gibt es einen ähnlichen Fall auch in der Bundespolitik. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer machte seinem Frust über die Verluste der Union bei der letzten NRW-Landtagswahl in einem Interview mit dem ZDF „heute journal“ Luft.
Vor allem Umweltminister Norbert Röttgen bekam sein Fett weg. Es sei ein großer Fehler gewesen, dass Röttgen als Spitzenkandidat der Union in Nordrhein-Westfalen antrat und sich gleichzeitig ein Hintertürchen für eine Rückkehr nach Berlin offen hielt. „Ich habe ihm gesagt: ‚Lieber Herr Röttgen, das ist nicht Ihre Privatentscheidung, ob Sie nach NRW gehen. Das betrifft die ganze Union. Wenn Sie das nicht korrigieren, dann wird es uns hart treffen.‘ Und so ist es dann auch gekommen.“, sprach Seehofer in die TV-Kamera.
TV-Wutreden
Anders als Rudi Völler oder Giovanni Trappatoni war Seehofer jedoch keineswegs cholerisch. Im Gegenteil: Er redete klar und ruhig – möglicherweise waren seine Aussagen während des ersten Teils des Interviews wohl kalkuliert.
Nachdem der „heute journal“-Anchorman Claus Kleber das Interview beendet hatte, holte Seehofer allerdings zu einem Rundumschlag aus. Er kritisierte offen die Arbeit der schwarz-gelben Koalition, insbesondere deren Betulichkeit bei der Umsetzung wichtiger Punkte wie der Finanzmarkttransaktionssteuer, der Energiewende, dem Fiskalpakt und in der Europa-Politik.
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O-Ton: „Wir werden mit Schuldenabbau nicht auf Wachstumskurs kommen in Europa.“ Als Claus Kleber anmerkte, dass die wirklich interessanten Dinge oftmals erst in den Nachgesprächen eines Interviews gesagt werden, antwortet Seehofer: „“Sie können das alles senden, weil ich wirklich entschlossen bin, dass wir etwas ändern.“