Der ein oder andere wird vermutlich immer noch verdutzt gucken, wenn der Musikfreund erklärt, er fahre Anfang November auf ein Festival. An die Ostsee. Doch der „Rolling Stone Weekender“ hat sich etabliert – was sich schon alleine daran zeigt, dass die sechste Auflage in diesem Jahr ausverkauft war.
Und so strömten – einzig durch den Bahnstreik der GDL ein wenig ausgebremst – 4.000 Musikfreunde an den Weissenhäuser Strand. Das Line-Up war abermals facettenreich, und wer wollte, konnte bereits am frühen Freitagabend nach einer langen Arbeitswoche so richtig wachgerüttelt werden: „The Undertones“ heizten auf der Zeltbühne, sprich der Mainstage, so richtig ein. Punk-Rock der guten alten Schule, den schon die Radiolegende John Peel hat hochleben lassen. So dürfte es manch Erdenbürger gegeben haben, der nach diesem Konzert ein Häkchen an einen wichtigen Wunsch setzen konnte: Den Überhit „Teenage Kicks“ live hören.

Die irische Combo, bis auf den Leadsänger noch in Originalbesetzung unterwegs (statt Feargal Sharkey steht nun Paul McLoone mit voller Inbrunst hinterm Mikrofon) wies auch artig darauf hin, dass nun ihr allererster Song käme. Tja, und wenn dann so ein „pubertierender“ Kracher inmitten der Setlist angeordnet ist, dann ist der Rest ein Selbstläufer.
Aus dem Handgelenk geschüttelt wurden dann auch noch Kracher wie „Here Comes The Summer“ oder „My Perfect Cousin“.
Anschließend wurde es im Festzelt etwas beschaulicher: Iron & Wine – sprich Samuel Beam – tritt zwar als Solist auf – doch die Stimme des Amerikaners alleine ist schon Zelt füllend. In Kombination mit dem facettenreichen Gitarrenspiel störte womöglich nur der Geräuschpegel, der sich wohl automatisch einstellt, wenn nicht gerade die Stromgitarren in einem solch großen Zelt angeschlossen sind.
Der Musikfilm „Once“ lebt auf
Doch auch auf den weiteren drei Bühnen, die in den Räumlichkeiten der Ferienanlage untergebracht sind, ging es bereits am ersten Festivaltag zur Sache. Besonders hervorgehoben werden muss der Auftritt von Markéta Irglová. Jeder, der den Film „Once“ gesehen hat, zwängte sich ins Witthüs. Die bestuhlten Reihen waren im Nu besetzt – und auch links und rechts stapelten sich die Menschen und harrten der Dinge, die da kommen mögen.
Zwar gibt es „The Swell Season“ nicht mehr, doch neben Irglová macht auch Glen Hansard noch immer von sich reden – er trat im vergangenen Jahr auf dem Rolling Stone Weekender auf.

Doch sowohl der jetzigen Soloband Hansards als auch der Combo „The Swell Season“ gehören Musiker von Hansards jahrzehntelanger Band „The Frames“ an. Und so war es sehr überraschend, dass auch in diesem Jahr der Bassist und Gitarrist der Frames am Weissenhäuser Strand zugegen waren. Die Band wurde vervollständigt von zwei weiteren Damen – die gesanglich sehr gut mit der Tastenvirtuosin Irglová harmonisierten. Während des Konzertes hätte man eine Stecknadel fallen hören können – ein Glück fiel keine runter. Neben den sehr schönen, eingängigen und harmonisierenden Klängen von Irglovás zweiter Soloplatte „Muna“ durften auch Titel aus „Once“ nicht fehlen, darunter „The Hill“ – und der Oscar-prämierte Titel „Falling Slowly“, der in der ursprünglichen Variante übrigens von den Frames stammt. Hansard blieb den Festivalbesuchern im Vorjahr just jenen Song schuldig – insofern schloss sich hier der Kreis.
Im Grunde genommen war der Musikfreund jetzt schon – im wohlgemerkt positiven Sinne – bedient. Doch wenn schon „Selig“ im Zelt spielen, nimmt man natürlich auch diesen Act mit. Ein Festivalbesuch ist nun mal kein Zuckerschlecken. Ein Glück haben Selig nach einer lange währenden Auszeit längst wieder in die musikalische Spur gefunden. Die Mischung aus altem und neuem Material stimmte – „Laß mich rein“ oder „Ohne Dich“ durften freilich nicht fehlen. Im Zugabenblock sang bei „Wir werden uns wiedersehen“ gefühlt jeder mit – ein unwiderstehlicher Refrain.
Sven Regener liest – so einfach ist das
Viel Zeit zum Durchschnaufen blieb auch beim „Familien-Festival“ nicht, denn am Samstag stehen zunächst einmal die Lesungen beim Weekender im Fokus. Sven Regener ist so ein Kulturschaffender, der neben seiner Kapelle „Element of Crime“ alle paar Jahre einen Bestseller raushaut. Zu Beginn der Lesung – erneut platzte das Witthüs aus allen Nähten – machte Regener klar: Ich fange an zu lesen, und lese bis zum Schluss. Und das tat er so denn. Kapitel auf Kapitel aus „Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt“. Das Publikum grinste, lachte – und applaudierte.
Als erste Combo des Abends gastierten die „Augustines“ auf der Zeltbühne. Der Auftritt der amerikanischen Band fällt unter die Rubrik „denkwürdig“, denn: Die E-Gitarre streikte – und so spielten die Musiker kurzerhand unplugged. Ein Stück gar inmitten des staunenden Publikums. Die Probleme konnten leider nicht behoben werden – und so blieb zwar die Erkenntnis, dass die Band improvisieren kann – doch wahren Rock’n’Roll blieben uns die Herren „schuldig“. Denn wie sagte doch Sänger und Gitarrist Billy McCarthy trefflich: „Wir sind eine Rock’n’Roll-Band – ohne E-Gitarre.“
Im Anschluss galt es, möglichst viel „mitzunehmen“ – und Überschneidungen sind freilich das „Leid“ eines jeden Festivalgängers. Zunächst also ein paar Titel des Rock-Duos „Blood Red Shoes“ wohlwollend zur Kenntnis genommen – Laura-Mary Carter an der E-Klampfe und Steven Ansell an den Trommeln gaben wie gewohnt alles. Dann Lloyd Cole auf der Rondell Stage bestaunen – den Virtuosen an der Westerngitarre mit einer gehörigen Portion Schwermut. Oder anders formuliert: Ein Singer-Songwriter der – erneut – alten Schule.

Natürlich lieben wir Jeff Tweedy
Viele Festivalgänger freuten sich auf einen gewissen Jeff Tweedy, der jüngst mit seinem jungen Sohn und Freunden ein Nebenprojekt gestartet hat. Die Freude war dem Quintett anzumerken und das Konzert eine stimmige Angelegenheit. Nur – um ehrlich zu sein – als Tweedy ein kurzes drei Stück umfassendes Unplugged-Set spielt, wird allen klar: Okay, die Eingängigkeit der „Wilco“-Stücke spielt schon in einer anderen Liga. Und so geisterte auch unentwegt die Frage durch den Raum, wer denn Wilco vor zwei Jahren bei ihrem umwerfenden Auftritt auf dem Weekender gesehen habe. Tweedy derweil fragte bei seinem diesjährigen Weekender-Gig, ob wir ihn denn noch immer lieben würden. Was für eine Frage!
Und dann waren da auch noch „The Felice Brothers“, die auf der Rondell Stage spielend wirklich alle im Rund bezauberten. Das Konzert war bereits zehn Minuten zu Ende, und die Leute im Rondell wollten es immer noch nicht wahr haben: Wie, da kommt nichts mehr? Hallo? „One more song!“ Der Country -Rock-Mix ist schlichtweg mitreißend – Geige, Schifferklavier, E-Gitarre – am Mikro darf jeder mal ran: Ein wahres Gesamtkunstwerk. In New York City als Straßenmusiker gestartet, halten „The Felice Brothers“ (drei an der Zahl) nebst Mitstreiter den Folk hoch: Eine großartige Geschichte.
Die „Editors“ beschlossen das Line-Up des diesjährigen Weekenders. Ein Bandmitglied konnte ob einer Krankheit leider nicht aus Großbritannien anreisen – und so boten Tom Smith und Kollegen kurzerhand ein feines Unplugged-Konzert. Besonders eine der Zugaben wurde von den Musikfreunden frenetisch beklatscht: Das Bruce-Springsteen-Cover „Dancing in The Dark“ stellte somit den letzten Paukenschlag auf dem Rolling Stone Weekender 2014 dar. Und dann gingen die Lichter langsam aus.
Am 6. und 7. November 2015 wird es erneut laut am Weissenhäuser Strand: Der Rolling Stone Weekender geht in die siebte Runde.
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